Es ist ja im Vorfeld schon so einiges spekuliert worden, wie sie sich denn nun so anhöre, die Platte, mit der die Mannen um Mastermind Mikael Åkerfeldt ihr 20-jähriges Bestehen begehen. Ein krasser Bruch sei sie, sagten die einen, oder auch nur einfach ein radikal anderes Album, vermuteten andere, wenig erinnere an das Opeth, das man kenne oder es sei schlicht der logische nächste Schritt für die Band. Nun ja, das Internet leistet dem wilden Spekulieren reichlich Vorschub, wirklich drauf geben kann man letztlich selten was.
Ich war also gespannt, was mich erwartet, war doch Opeth mit den letzten beiden Platten GHOST REVERIES (2005) und v.a. WATERSHED (2008) von einer interessanten, aber für meinen Geschmack leider noch zu sehr im plumpen Death Metal verwurzelten Band zu einer wirklich progressiven und außerordentlich kreativen Ausnahmeband geworden.
Dass die neue Platte keinerlei Death Metal-Vocals aufweisen und stark in den 70ern verwurzelt sein sollte, das alles ließ mich voller Vorfreude auf etwas Besonderes warten.
Nun ja, das mit den Erwartungen ist ja bekanntlich so eine Sache. HERITAGE macht es einem wirklich nicht leicht, und irgendwie hinterlässt sie mich sehr zwiegespalten, der Titel jedenfalls, so viel ist recht klar, deutet ziemlich in die falsche Richtung und dürfte mit einer Prise Ironie zu verstehen sein – viel erinnert nämlich nicht mehr an die Band, die ich kenne.
Ich kann auch nicht behaupten, dass mir Heritage nicht gefällt. Aber Begeisterung sieht ganz sicher anders aus. Das Album ist mutig anders, aber so recht ausgegoren wirkt es für mich nicht. Zu sehr klingt es wie aus dem 70er Prog-/ Psychedelic- / Folk-Rock-Baukasten zusammen gesetzt, da sucht eine Band eine (andere) Richtung und findet doch nur hauptsächlich das, was andere Bands vor ihr schon besser hinbekommen haben.
Die etwas kitschig-jazzige Piano-Intronummer „Heritage“ läßt kurz Watershed aufleben und steigert die Vorfreude auf die Eruption, die doch jetzt kommen muss – es ist ja Opeth, von denen wir hier reden, und neben (und nach!) Tool kenne ich keine Band, die das Eruptive so gekonnt in Szene setzen kann. Allein – sie kommt einfach nicht.
Ich weiß jetzt nicht, ob an der mir zugänglichen Review-Version des Albums mit dem Mastering etwas nicht in Ordnung ist oder das wirklich so gewollt ist, aber Track 2, „The devil´s orchard“ fährt Lautstärketechnisch sowas von in den Graben, dass ich nach dem Pianointro diesen Full-Band-Track geschätzte 6-7dB lauter machen muss, damit ich ihn in vernünftiger Lautstärke zu hören bekomme. Merkwürdig. Der Song selbst ist sehr 70er-Rock, ganz witzig anzuhören, mit dem „God is dead“-Text lockt man allerdings im Jahr 111 nach Nietzsche keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Aber was soll´s, die Nummer ist gut, die (vom inzwischen leider ausgestiegenen Per Wiberg gespielte) verzerrte Hammond röhrt, was das Zeug hält – das gefällt durchaus!
Der Wechsel bei Minute 5 gibt aber auch schon einen Vorgeschmack auf das, was kommt, man hat hier nicht mehr das Gefühl, dass man den selben Song hört. Ist hier aber durchaus gelungen. Offenbart aber auch ein Grundproblem, das ich mit dieser Platte habe: wären da nicht die markante Stimme von Åkerfeldt und einige typische Gesangslinien – wenn ich es nicht wüsste, ich würde die Band über weite Strecken nicht mehr erkennen.
Danach wird’s folkig mit „I feel the dark“, eine tolle Basslinie und eine Mellotron-Flöte geben diesem Track (wie einigen anderen auf der Platte auch) eine Anmutung von Pink Floyd´s Frühwerk The Piper At The Gates Of Dawn, möglicherweise spukte ja der Geist des leider kürzlich verstorbenen Syd Barrett im Studio herum.
„Slither“ ist dann fast schon klassischer Rock´n´Roll, klingt hier und da ein bisschen wie Speed King von Deep Purple und hat tatsächlich, was selten genug vorkommt auf der Platte, einen länger durchgehenden Beat: man wird den Hörer jetzt doch nicht etwa im Takt mitwippen lassen? Nein, nach 2.50 ist´s wieder vorbei, da fangen dann wieder die Barden an um´s Feuer zu tanzen und holde Maiden zu bezirzen – als ob es nicht schon so genug Mittelalter-Bands gäbe! Trotzdem kein schlechte Nummer.
„Nepenthe“ dann zeigt zunächst viel Mut zur Stille, bevor etwas später beim Abarbeiten der persönlichen 70er Proghelden der Band dann King Crimon dran sind, wobei einem hier wieder einmal klar wird, wie brilliant, pointiert und v.a. fokussiert diese sind – bis zu Robert Fripp ist´s dann eben noch ein weiter Weg!
„Häxprocess“ ist wieder eher ruhig, leicht jazzig, und auch das Lagerfeuer brennt immer noch. Wieder fordert der zurückgenommene Song den Hörer auf, hinzuhören und Nuancen zu entdecken (was ja heutzutage durchaus wünschenswert ist bei der Flut rein auf Oberfläche hin produzierter Massenmusik), nur dabei die ein oder andere Perle mehr zu finden wäre für den Hörer insgesamt dann doch ganz schön. Das ist, wenn man sich darauf einlässt, alles insgesamt schon ganz ordentlich, aber eben auch etwas ermüdend und dröge.
Weiter geht’s mit „Famine“, d.h. erst mal geht es eben nicht weiter, den 20 Sekunden Stille am Ende des Hexenprozesses folgen erst mal gleichviel weitere zu Beginn, dann etwas Percussion, erst nach 2 Minuten kommt ein leises Piano dazu, noch später eine (durchaus coole) Jethro Tull-Flöte samt Black Sabbath-artigem Riff. Nun ja, viele Vorbilder sind jetzt nicht mehr zu zitieren, nur nach Opeth klingt das alles halt leider für meine Geschmack zu selten.
Eines lässt sich nicht leugnen: Opeth vermeidet konsequent praktisch alles, was nach eigener Vergangenheit oder hergebrachtem Songwriting aussieht – und das wäre per se ja nicht schlecht, würde es sich stellenweise nicht gar so ziehen und eigenständiger klingen.
„The lines in my hand“ bringt wieder 70er Drumming, Mellotron, E-Pianos und die bekannte Zupfgitarre, wieder gemahnt das Ganze ein wenig an den Floydschen Pfeiffenmann, und gegen Schluss nimmt der Song zu guter Letzt doch noch etwas Fahrt auf. Guter Track, keine Frage, und der wohl am leichtesten zugängliche Song der Platte, der fast als Single durchgehen könnte.
Der neunte Track, „Folklore“, lässt den Hörer wieder etwas warten, bevor, wer hätte es bei dem Titel gedacht, wieder fröhlich auf der Gitarre geplöckelt wird, und spätestens hier überkommt mich das Gefühl, dass das zwar alles schon nicht schlecht ist, aber es mich einfach reichlich kalt lässt. Wieder stehen Ian Anderson und sein Tullianer Pate, diesmal wird fleißig Aqualung zitiert, bevor der Song mal hierhin, mal dorthin mäandert, der Mut, einfach mal bei einer Sache zu bleiben, wird im Lauf der gesamten Platte leider viel zu selten aufgebracht, und so verharrt das Ganze letztlich im doch arg Fragmentarischen.
Mit „Marrow of the earth“ findet das Album dann einen ruhigen und schönen Abschluss, und wieder stellt sich wie bereits beim Pianointro die Auffälligkeit des merkwürdigen Masterings ein, denn diesmal haut es mir fast die Ohren raus beim Einsatz der Akustikgitarre, nachdem ich mit Song 2 die Lautstärke auf die Full-Band-Tracks der Platte eingestellt hatte – höchst merkwürdig.
Was bleibt nun also: HERITAGE ist kein wirklich schlechtes Album, ich kann es mir wirklich gut anhören und es gefällt mir auch stellenweise durchaus. Es ist für mich aber ein Album, das nicht so recht weiß, wo es hin will und soll, eines, das sich nicht traut, eine Idee auch mal mehr als nur fragmentarisch auszuarbeiten – und dieses Misstrauen ist leider berechtigt. Viel zu sehr verharrt das Ganze in einer Reihung von Zitaten (ohne deren Qualität zu erreichen), der rote Faden des Albums ist zumindest sehr gut versteckt und es fehlt mir bei all dem letztlich eine (neue) eigene Identität und die Spannung.
Schlussendlich ist es halt immer so eine Sache, wenn Künstler mal was Neues machen wollen, und die Frage, wie viel von dem, was einen bisher künstlerisch ausgemacht hat, man behalten möchte ohne zu stagnieren, ist simpel nicht zu beantworten.
Die Hinwendung zum 70er Jahre Psychedelic-, Folk- und Progrock ist sicherlich für Åkerfeldt und Co. naheliegend, die Elemente waren schließlich immer da. Soweit kein Problem. Nur wäre es eventuell dann meiner Meinung nach sinnvoller gewesen, das schlicht unter einer anderen Fahne laufen zu lassen, wenn im Endeffekt von Opeth so wenig übrigbleibt. Aber das ist letztlich natürlich immer eine akademische Frage, die sich möglicherweise mit der nächsten Platte aufklärt. Ich lege bis dahin wieder WATERSHED auf!
- Heritage (2:05)
- The devil’s orchard (6:40)
- I feel the dark (6:40)
- Slither (4:03)
- Nepenthe (5:40)
- Häxprocess (6:57)
- Famine (8:32)
- The lines in my hand (3:49)
- Folklore (8:19)
- Marrow of the earth (4:19)
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